Design & Interior

Ganz in ihrem Element

Feuer, Wasser, Erde, Luft: Es gibt Landschaften, da wird Natur zur Kultur. Südtirol ist so eine Gegend. Wir haben vom Glasbläser über den Kupferschmied bis zur Keramikerin sechs Handwerker getroffen und sie mit ihren Arbeiten an sehr besonderen Orten rund um Bozen fotografiert

Text: VERENA RICHTER
Fotografie: PETER UNTERTHURNER
Produktion: CRISTINA CONIGLIO
4. November 2025
Ganz in ihrem Element
Als ob Eis schmilzt: Andreas Rier schafft Glasskulpturen, deren Oberflächen von der dynamischen Arbeit des Glasblasens erzählen. Fotografiert im Palazzo Menz

Der mit dem Glas tanzt: Andreas Rier

Eigentlich kommt er ja vom Holz. „Schon als Kind habe ich geschnitzt. Und mein Opa war Holzfäller“, erzählt Andreas Rier. Dass der Südtiroler auf der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle ausgerechnet das Material Glas für sich entdeckt hat, erstaunte ihn selbst: „Das ist ein ganz anderer Ansatz, alles ist in Bewegung, geschieht in Sekunden, ist nicht zu stoppen.“ Aber eine Gemeinsamkeit gibt es doch: die Holzform, in die das Glas anfangs geblasen wird. Während viele Glaskünstler erst eine Positivform herstellen, die dann abgeformt wird, baut Rier gleich die Negativform, schneidet direkt Hohlräume ins Holz – gerne mit der Kettensäge. Manchmal verwendet er auch hohle Stämme, bindet Äste zusammen –oder arbeitet völlig frei, ohne Form: „Mir geht es immer darum, das Flüssige des Glases in seiner festen Form sichtbar zu machen.“ instagram.com/rier.andreas

Der Heimkehrer: Daniel Costa

Nach der Schule wurde es ihm in Brixen, seiner Heimat, zu eng – „auch kulturell“, sagt Daniel Costa. Da war die Design Academy in Eindhoven eine Offenbarung. „Meine ersten Unterrichtsstunden waren Performance, Meditation und Aktmalen.“ Es folgten fünf Jahre in Paris bei „Trend Union“, der Agentur von Li Edelkoort. Aber: „Dort fehlte mir die praktische Umsetzung.“ Costas Ziel: eine eigene Textil-Kollektion. „Und weil der Teppich die Basis von allem ist, habe ich damit angefangen.“ Um Webtechniken zu lernen, ging er auf Reisen: „Die indischen Stoffe waren mir zu dünn und zu bunt. Aber Nepal sprach zu mir. Die Berge, die widerstandsfähigen Materialien – plötzlich begriff ich: Es geht nicht ums Anderssein, sondern darum, wo ich herkomme.“ Und so packte er seine Sachen, um nach Hause zurückzukehren. studiodanielcosta.com

Die Entdeckerin der Langsamkeit: Lara De Sio

Sie war schon Architektin (in Italien und den Niederlanden), Glasdesignerin (bei Barovier & Toso und Venini) – und seit 15 Jahren arbeitet Lara De Sio als Keramikerin. Die gebürtige Boznerin lebt in Venedig, aber ihre Heimat Südtirol inspiriert sie noch immer: „Die Farben, die Geologie, Steine wie Porphyr.“ Ihre minimalistischen Objekte entstehen nicht an der Töpferscheibe, sondern werden per Hand aufgebaut. Dafür verwendet sie einen sehr rauen, mit Schamotte angereicherten Ton. „Er lässt sich nur schwer und nicht schnell bearbeiten“, erklärt sie. Genau diese Langsamkeit ist es, die es ihr angetan hat: das Meditative der Arbeit. Die Oberflächen ihrer unglasierten Gefäße gestaltet sie mit Rauch. Manche von ihnen tragen auch Muster, die an Federn und Fossilien erinnern. „Dafür bearbeite ich sie mit einem Pinsel.“ Sie mag die Schlichtheit ihrer Stücke – „und die Tatsache, dass sie am Ende symmetrisch wirken, aber nie perfekt symmetrisch sind. Das verleiht ihnen etwas Menschliches“. laradesio.com

Feuer und Flamme: Laurenz Stockner

Wenn jemandem sein Beruf in die Wiege gelegt wurde, dann Laurenz Stockner. Schon als Baby hörte er den Hammer auf den Amboss schlagen. Denn bis zu seinem zehnten Lebensjahr wohnte er mit seinen Eltern im Haus des Dorfschmieds von St. Andrä oberhalb Brixens. Das lodernde Feuer in der Werkstatt zog den Jungen in Bann – und tut das noch heute. Nach seiner Schlosserlehre ging Stockner nach Florenz und lernte das Goldschmieden. Zurück in Südtirol begann er, heimisches Kupfer zu gewinnen, um daraus Schalen zu formen. „Mein Ziel ist es, diese dunkle, erdige Substanz zum Leuchten zu bringen“, erklärt er. Der erste Schmelzprozess dauert zwei Tage, eine fertige Schale ein bis zwei Wochen. Die rauchig wirkende, fast malerische Oberfläche entsteht durch das Zusammenspiel von Feuer und Wasser. So archaisch die Arbeitsweise, so filigran das Ergebnis. „Ich suche die Leichtigkeit im Metall“, sagt Stockner – und bewahrt in seinen Gefäßen das Handwerk von früher und den Geist der Gegenwart. laurenz.it/de

Der Zugezogene: Luca Da Ros

Zwei Herzen schlagen in seiner Brust – das eine für die Natur, das andere für die Technik. Seit seinem 16. Lebensjahr verbrachte Luca Da Ros – er kommt aus Vittorio Veneto, einem Städtchen 50 Kilometer nördlich von Venedig – die Sommer in der Ofenfabrik seines Vaters: „Dort habe ich mit Metall, Schweißern, Biegern und CNC-Laserschneide-
maschinen gearbeitet.“ Nach der Schule studierte Luca Da Ros Naturwissenschaften in Bologna und zog 2018 als Doktorand der Waldökologie nach Bozen, wo er u. a. Holzanatomie lehrte: „Abends saß ich in meiner spärlich eingerichteten Wohnung auf dem Sofa, blickte auf die Karte der Südtiroler Berge, die ich an die Wand gegenüber gepinnt hatte, und dachte: Wäre sie doch näher am Sofa, dreidimensional und horizontal, dann könnte ich sie erkunden, als ob ich darüberfliegen würde.“ Gedacht, getan: Wenige Monate später war der Prototyp für seinen ersten Couchtisch fertig und die Firma „Dolomitisch – Topographic Furniture“ geboren. Seitdem schlagen seine beiden Herzen endlich im Gleichtakt. dolomitisch.com

Der Kubist: Martino Gamper

„Als Kind wollte ich alles reparieren“, erzählt der gebürtige Meraner, der mittlerweile in London lebt. Und man kann sich lebhaft vorstellen, wie der kleine Martino auf dem Boden saß, Dinge auseinandernahm und wieder zusammensetzte – aber anders. Was damals keine Absicht war, ist heute längst Konzept. Spätestens seit dem Projekt „100 Stühle in 100 Tagen“, bei dem Martino Gamper Stuhlteile, die er auf der Straße fand, zu 3D-Collagen zusammenfügte. Ist das Kunst oder kann man darauf sitzen? „Die Funktion steht bei mir zwar im Hintergrund, aber wichtig ist sie mir trotzdem.“ Nach seiner Tischlerlehre studierte er Bildhauerei an der Wiener Akademie der bildenden Künste, um danach in London seinen Master bei Ron Arad am Royal College of Art zu absolvieren. „Ich nehme die Herangehensweise des Künstlers, um Design zu machen“, erklärt er. Wie auch beim Sessel „Figura“, der aus verschiedenen Modulen besteht, aus denen man 81 Stuhl-Versionen bauen kann – und zählt man die unterschiedlichen Rubelli-Bezüge (Samt, Tweed etc.) dazu, sind es mehr als 100. martinogamper.com

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