Wenn Niels Bastrup von seinem Zuhause in Klampenborg, an der Küste nördlich von Kopenhagen, ins nahe gelegene Taarbæk fährt, sieht er das Örtchen schon von Weitem auf einer Landzunge liegen. Mit seinen alten Fischerhäusern, den schönen Villen, dem malerischen Hafen und dem riesigen Park Jægersborg Dyrehave, einem ehemaligen königlichen Jagdrevier, das 1670 unter König Christian V. angelegt wurde. Noch heute preschen dort beim jährlichen Pferderennen Reiter in weißen Hosen und leuchtend roten Jacken durch den flachen See in der Senke, springen über Hecken und Heuballen. An allen anderen Tagen herrscht Stille, flanieren die Bewohner Taarbæks und Umgebung mit ihren Hunden unter den Eichen entlang, so wie Interiordesigner Niels Bastrup.
Es ist ruhig in Taarbæk. Zu ruhig, seit der Taarbæk Kro, ein Fischerlokal am Hafen, seine Türen geschlossen hat. „Dem Ort fehlt ein Zentrum“, sagt Bastrup, der früher Kreativdirektor des Porzellanherstellers Royal Copenhagen war, davor als Modedesigner – auch viele Jahre in Deutschland – arbeitete und nun sein eigenes Büro für Interiordesign hat: Desk No. 63. Außerdem gäbe es kaum noch Geschäfte. Doch das wird sich jetzt ändern. Im Jahr 2018 kaufte Charlotte Sørensen, die selbst in Taarbæk lebt, der letzten Besitzerin, die den Kro fast 45 Jahre führte, das Fischerlokal ab, um der Gaststätte wieder Leben einzuhauchen: „Sie soll der neue Treffpunkt des Dorfes werden“, so Charlotte Sørensen.
Und deshalb beherbergt das renovierte Gebäude nicht nur ein Restaurant und eine Bar, sondern auch Räume, in die regelmäßig wechselnde Pop-up-Stores einziehen, eine gemütliche Bibliothek und das trubelige Café Sommer Canteen. Der Cappuccino mit Hafermilch und Zimt schmeckt hier besonders gut, genauso wie der kalt geräucherte Lachs von der Insel Samsø und natürlich die Kardamomschnecken. „Jesper Gøtz gehört zu den besten Bäckern Dänemarks“, schwärmt Niels Bastrup. Serviert wird im Café oder im Innenhof, in dem abends Lesungen und Konzerte stattfinden und dessen Glasdach geöffnet werden kann.
Der historische Kro entstand vor knapp 300 Jahren, hatte die königliche Lizenz zur Bier- und Aquavitherstellung und befand sich auf der anderen Straßenseite des Strandvejen. 1873 wurde das Lokal in ein dreistöckiges Hotel umgebaut, nachdem sich durch die Bahnlinie von Klampenborg nach Kopenhagen das Fischerdorf zügig in einen bürgerlichen Badeort verwandelt hatte. Rund zwei Jahrzehnte später zog der Kro auf die andere Straßenseite, direkt ans Wasser, und wurde zu einem Badehotel mit dekorativem Turm und Holzbalkonen, auf denen sich Bohemiens die Meeresbrise um die Nase wehen ließen. Die Grundstruktur der Architektur des heutigen Gasthauses entstand erst in den 1940er-Jahren, nachdem die Weltwirtschaftskrise dafür gesorgt hatte, dass das Badehotel abgerissen werden musste. Seitdem flankieren zwei schlichte, lang gezogene Gebäude mit Spitzdach einen quer verlaufenden Riegel.
Die Bauherrin beauftragte Bastrup, der in Kopenhagen gerade das Interior eines Bürogebäudes entworfen hat, mit der Neugestaltung und war selbst stark daran beteiligt. „In unseren Gesprächen wurde klar, dass runde, maritime Formen eine große Rolle spielen würden“, erzählt Bastrup. So sind zum Wasser hin Fenster und Fassade – sie ist mit Fliesen desselben Herstellers verkleidet wie Arne Jacobsens Tankstelle in Klampenborg – gebogen, was an einen Dampfer erinnert. Ein Eindruck, der durch die vereinzelt platzierten runden Fenster, die wie Bullaugen wirken, verstärkt wird. Das aufklappbare Rooftop-Barmöbel gleicht geschlossen einem Schiffsschornstein, die Bänke ähneln Booten.
Auch im Innern des Kro sind runde Formen allgegenwärtig. Der geschwungene Marmortresen der Bar. Der kreisförmige Stuck an der Decke, der den Ringen gleicht, die entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Und die runden Tische, die zusätzlich zu den langen Tafeln in den Speisesälen stehen. „Sie waren der Wunsch der Bauherrin“, erzählt Bastrup, „weil man nicht nebeneinander, sondern sich gegenüber sitzt und sich deshalb besser unterhalten kann.“ Passend dazu entwarf der Interiordesigner halbrunde Bänke mit Stablehnen. Die Stühle sind eine Sonderanfertigung von Børge Mogensens „J39“. Ein Sitzmöbel, das der dänische Designer 1947 entworfen hat, also fast zeitgleich zum letzten Umbau des Gasthauses, und das der Möbelhersteller Fredericia heute noch produziert. Doch statt mit Papiergarn, wie der Klassiker, sind die Sitzflächen mit Leinengarn bespannt: in Rosa, Wasserblau und Aquagrün.
Die Wände tragen helles Grau, die Farbe wurde mit Sand angereichert und mit einem Besen aufgetragen, sodass die Oberfläche einem vom Wasser gewellten Strand gleicht. Die runden Deckenleuchten sind original erhalten, mussten aber repariert und neu montiert werden. Es handelt sich um Arne Jacobsens „Munkegaard“-Leuchten, die er 1955 für eine Schule im benachbarten Gentofte designte. Hinter jedem Möbel, Objekt und noch so kleinen Detail steckt eine Geschichte oder eine überraschende Raffinesse. Ein Teil der Wände des hinteren Speisesaals lässt sich zusammenfalten und gibt den Blick ins Kaminzimmer frei. In einem anderen Teil verbergen sich Schränke, deren Fächer und Schubladen mit lackiertem Geschenkpapier der Firma „Cambridge Print“ ausgekleidet sind.
Eine weitere Überraschung erwartet die Gäste auf den Toiletten. Dort hat die heutige Porzellanmalerin des Services „Flora Danica“ – es ist mit botanischen Zeichnungen dekoriert und wurde im 18. Jahrhundert auf Bestellung für Katharina die Große entworfen – Vögel auf die gefliesten Wände gemalt. Schwäne, Tauben, Rebhühner. Und die Wandleuchten „Twin“ der tschechischen Firma „SkLO“ wählte Bastrup deshalb aus, weil sie ihn an die Glaskugeln erinnern, mit denen man früher die Fischernetze an der Wasseroberfläche markierte. So eine alte Fischer-Glaskugel, eingeknüpft in ein Netz, liegt im Regal der Bibliothek, die sich neben dem Eingang befindet. An den Wänden hängen zwei Teppiche, die Niels Bastrup entworfen hat und die eine Landzunge zeigen, auf der ein kleines Städtchen liegt. Der Blick, den der Designer vier Jahre lang auf dem Weg zur Arbeit hatte, ist Teil des Interiors geworden.