Reise

AIX-TRA EINLADUNG

In Aix-en-Provence hat der Zeitgeist gern etwas Verspätung. Das Anwesen Gallifet sorgt mit zeitgenössischer Kunst und jungen Köchen für frischen Wind

Text: EVELYN PSCHAK VON REBAY
Fotografie: STEPHANIE FÜSSENICH
6. Juni 2025
AIX-TRA EINLADUNG
Hier schwimmt einer im Kies. Oder besser gesagt: im Glück. „Nager dans le Bonheur“ lautet der Titel der Gießharz-Figur des Senegalesen Diadji Diop

Seine Lieblingskünstler stellte Nicolas Mazet gern in der eigenen Pariser Wohnung aus. Doch eines Tages brauchte er für die wandfüllenden Formate eines abstrakten Malers aus Platzgründen eine andere Lösung. Ob er denn das provenzalische Familienanwesen nutzen dürfe, habe er also 2010 seinen Vater gefragt: „Kannst du, aber gewöhne dich nicht dran“, sei dessen knappe Antwort gewesen. Schließlich sollte das Hôtel de Gallifet in Aix-en-Provence verkauft werden. Heute, 15 Jahre und über 50 Ausstellungen später, ist das Anwesen immer noch in Familienbesitz und was als kurzes Galerie-Intermezzo gedacht war, hat sich zu einem feinen privaten Zentrum für zeitgenössische Kunst entwickelt – samt einem Pop-up-Sommerrestaurant, das Jahr um Jahr von wechselnden Köchen bespielt wird.

Hinter hohen Mauern, nicht einzusehen von der schmalen Straße, verbirgt sich das kastanienbaumbeschattete Idyll mit sechs hohen En-Suite-Ausstellungsräumen hinter Sprossenfenstern. Darin finden wechselnde Ausstellung statt, mit denen Nicolas Mazet die Empfänglichkeit für Zeitgenössisches erhöhen möchte. Denn in Aix, so der 51-Jährige, bemühe man sich nicht so gerne um noch nicht Arriviertes. Das Universitätsstädtchen ist die Geburtsstadt von Cézanne – und zu dessen Lebzeiten rühmte sich der Direktor des nahen Musée Granet, dass kein Bild Cézannes je die Schwelle seines Museums passierte – ein Missstand, der übrigens erst im Jahr 1984 behoben wurde. „Die Aixois sind kunstgeschichtlich betrachtet eher Hüter des Tempels“, sagt Mazet.

Gegenüber des Hôtel de Gallifet befindet sich das CollègeBourbon, in dem sich Émile Zola und Paul Cézanne als Jungen kennenlernten. Der spätere Schriftsteller kam aus Paris und wurde in der Schule für seinen Akzent verhöhnt. Cézanne stand ihm bei und blieb Zolas Freund, zumindest bis zur Veröffentlichung dessen Romans „L’Œuvre“, „Das Werk“, in dem es um die Entstehung des Impressionismus geht, um die Bohème in Paris … und um eine verkrachte Künstlerexistenz, in deren Beschreibung Cézanne sich wiederzuerkennen glaubte.

Tagsüber wird auf der Terrasse von Gallifet Casual Dining geboten, doch abends, von Donnerstag bis Samstag, in mehreren Gängen groß aufgekocht. Wer das Glück hat, dass es an einem solchen Abend zu regnen beginnt, erlebt, wie in Windeseile Tische inmitten der Ausstellung aufgebaut werden.

Unter dem Dach des Hôtel particulier gibt es eine Zwei-Zimmer-Wohnung, in der man übernachten kann. Die Zimmer sind ruhig, licht, voller Kunst – und auch zu viert bewohnbar, wenn man die Couch im Wohnzimmer aufklappt.

So wie die Ausstellungen wechseln auch die Köche in residence jährlich. Während diesen Sommer Julie Hetyei und Nick Verrill für das leibliche Wohl sorgen, reiste vergangenes Jahr Joshua Dallaway aus London  an und kam in Begleitung seiner Partnerin, der Sommelière Sinead Murdoch. Die Weinexpertin hielt sich gerne an das Briefing von Gallifet: So nah und so klein wie möglich sollten die Weingüter sein. Mit feinen Tropfen begleitete sie die lokale Küche ihres Kompagnons am Herd. Der bezog viele Zutaten bei der mit Nicolas Mazet befreundeten Gemüsebauerfamilie mit Marktstand vor der alten Getreidehalle von Aix, an der Place Richelme. Die Warenliste kam oft bereits am frühen Morgen per WhatsApp mit Infos zur Ernte des Tages als Inspiration fürs Menu du Jour. Oder eben auch die Nachricht: „Sauerampfer gibt es heute nicht, den haben die Schnecken gefressen.“

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