Wie alle guten Geschichten beginnt auch diese kurios: 1922 bleibt ein Zug auf halber Strecke zwischen Rom und Genua liegen; der junge Marchese Uberto Resta Pallavicino verlässt sein Abteil. Und verliebt sich Hals über Kopf in die Wildnis, die ihn empfängt, in das sumpfige Marschland der Maremma, am Südende der toskanischen Küste.
So sehr packt es ihn, dass er 14 Freunde überredet, mit vereinten Kräften und Geldern ein großes Stück Land zwischen dem mittelalterlichen Städtchen Capalbio und dem Tyrrhenischen Meer zu kultivieren: das künftige Terre di Sacra. „Unsere Familie stieß drei, vier Jahre später dazu“, erklärt Carlo Puri Negri, heutiger Präsident des 1000 Hektar großen Anwesens. „Diese Gentlemen waren Landbesitz gewohnt – kannten allerdings nur die saftigen Felder der Lombardei. Doch hier war es wie in Afrika: arme Böden, malariaverseuchte Sümpfe, wilde Natur.“ Und nur wenige Menschen, die sich so ein Leben zutrauten. „Es muss 1926 gewesen sein, als mein Großonkel hier eintraf.“ Piero Pirelli, Sohn des Reifenunternehmensgründers Giovanni Battista Pirelli, war ein guter Geschäftsmann. Und investierte – fast müsste man sagen: trotzdem – in die riskante Unternehmung.
Gute hundert Jahre später sind einige der Familien von damals immer noch hier, unter anderem auch die Enkel des Initiators, Uberto und Niccolo Resta Pallavicino. Letzterer leitet als Agrarexperte die bio-landwirtschaftlichen Belange, etwa die Bestellung der horizontweiten, mohnbetupften Felder voller Hartweizen, Gerste oder Futterklee, in denen sich gerne Fasane oder Wildschweine verstecken. Mittendrin befindet sich zudem seit 1968 – auf einstigen Jagdgründen, in denen frühe Maremma-Liebhaber wie Giacomo Puccini oder die Patrizierfamilien der Strozzi, Corsini und Antinori Blesshühnern nachstellten – Italiens erstes WWF-Naturschutzgebiet.
Heute kommt die clientela elegante auf Terre di Sacra zwar nicht mehr zur Jagd zusammen, doch trifft man sich immer noch in der Mitgliedern vorbehaltenen Verschwiegenheit des Clubhauses Circolo La Macchia. Das Gehöft aus dem 16. Jahrhundert, direkt am Meer gelegen, wirkt fast wie eine Fata Morgana zwischen Strand und Weideland: ein kosmopolitisches Interiordesign, das Städten wie Mailand oder London in nichts nachsteht, die dunkle Bar mit den herausragenden Grapefruit-Gin-Tonics, der gegrillte Fisch auf der Terrasse.
Margherita Puri Negri ist eines von fünf Kindern von Carlo Puri Negri. Geboren in Mailand, verbrachte sie ihre Kindheit zwischen der norditalienischen Metropole und Capalbio. Heute kümmert sie sich um den Slow-Tourismus rund um die Glampingzelte sowie die nagelneuen Cabins am 12 Kilometer langen Sandstrand des Grundstücks – und was eben sonst noch anfällt. Sie hat in Oxford studiert, eine Doktorarbeit zur Nachhaltigkeit in der italienischen Energieversorgung verfasst und in Washington in der Hochfinanz gearbeitet. Aber wie das eben so ist mit einem Spazio amato: 2015 kam sie zurück und stieg ins familiäre Unternehmen ein.
Dass sie einen römischen Grafen ehelichte, erwähnt Margherita niemals im Gespräch, im Gegenteil: Mit wedelnder Handbewegung wischt sie den Titel bei Nachfrage gleich wieder weg – in Capalbio lebt man äußerst diskret. So diskret, dass der Ort erst zu Anfang der 2000er-Jahre einem größeren Kreis bekannt wurde, erzählt ihr Ehemann Matteo Marenghi Vaselli: „Davor hatte man von Capalbio nie etwas gehört, noch nicht einmal in Rom, obwohl man nur wenig mehr als eine Stunde Fahrt entfernt ist.“ Heute versteckt sich Capalbio nicht mehr hinter Saint-Tropez oder Porto Cervo. Dabei ist es hier so ganz anders als an den üblichen Küstenorten: Mit dem Auto kommt man so gut wie gar nicht ans Meer. Es gibt kein Lungomare, keine Boutiquen entlang einer Flaniermeile, keine Gelateria für die abendliche Passeggiata. Sondern Landleben für Menschen, die unter quiet luxury verstehen, dass da noch nicht einmal ein Jachthafen ist. Wer ein Boot hat, muss woanders ankern. Die Halbinsel Monte Argentario ist in Sichtweite, ihre Silhouette liegt im Meer wie ein schläfriges Krokodil. sacra.it
Die gesamte Maremma-Reportage plus Hotel-, Restaurant- und Ausflugtipps finden Sie in der SALON-Ausgabe No 42 (Frühling 2025)