Design & Interior

Der Schichtarbeiter

In den Interiors von Hannes Peer überlagern sich Dekaden, Stile und Materialien, gleichzeitig schafft der Südtiroler Architekt mit Büro in Mailand erfrischend Neues. Der Grund: akribische Recherche

Text: GABRIELE THIELS
6. Juni 2025
Der Schichtarbeiter
Großes Kino: Für die Wandgemälde im Restaurant The Otter, das zum New Yorker Hotel The Manner gehört, beauftragte Hannes Peer die spanische Künstlerin Elvira Solana

Wer nach New York kommt und im Hotel The Manner absteigt, setzt seine Reise fort – durch die 50er-, 60er- und 70er-Jahre, nach Mailand und Murano und in die Hügel von L.A., durch Filme von Fellini, Antonioni, David Lynch und durch die Farbwelt von Mark Rothko. Der Architekt Hannes Peer, 47, Südtiroler mit Büro in Mailand, hat mitten in Soho ein Ambiente geschaffen, in dem sich Stile und Dekaden überlagern, verzahnen und aufeinanderprallen und doch ein homogenes Ganzes bilden. Der frei stehende Kamin aus Gussbeton, der auch in einer von John Lautners berühmten kalifornischen Villen stehen könnte, passt zu den polierten Metallgestellen der Möbel, und in den Glasstücken der Lüster aus Murano spiegeln sich die tiefen Gelb-, Rot-, Blau- oder Grüntöne, die, von Rothkos Gemälden inspiriert, jedem der 97 Zimmer einen anderen Charakter geben. Der Mix ist schwer zu fassen und viel zu komplex, um bloß retro zu sein, man spürt das enorme Wissen dahinter, das sichere Gespür für Materialien, die Lust am Glamour – und eine Mühelosigkeit, die auf täglicher Routine gründet.

Während des Architekturstudiums in Mailand und Berlin, dann als Mitarbeiter von Rem Koolhaas in Rotterdam und in verschiedenen Mailänder Architekturbüros, fräste sich Hannes Peer durch Bücher, Filme, Theorien. Er tut es heute noch, und seit gut zehn Jahren gehört auch Instagram zu seinen Jagdgründen. Auf seinem Account teilt er seine Entdeckungen, ob Midcentury-Bauten aus Arizona, archetypische Alpenarchitektur oder Künstlermöbel. „Ich wollte, dass die Leute meinen Geist kennenlernen“, sagt er. Nostalgische Utopie nennt er sein Konzept, weil, davon ist er überzeugt, man die Vergangenheit kennen muss, um etwas Neues zu schaffen. Zuerst sei es ihm nicht leichtgefallen, „diese wunderschöne Welt, die ich mir da im Kopf gebaut­ habe, auch zu öffnen“.

Bei keinem seiner bisherigen Projekte hatte er so viel Raum und ein so großes Budget, die Welt aus seinem Kopf herauszulassen, wie bei The Manner. Peers Ideal ist das Gesamtkunstwerk und „dal cucchiaio alla città“, „vom Löffel bis zur Stadt“, seine Maxime. Sie geht auf Max Bill zurück und dabei ist es egal, wie groß ein Vorhaben ist. „Du kannst auch mit einem Bad oder einem kleinen Wohnzimmer etwas aussagen“, findet Peer.

In seinem Studio sind sie inzwischen zu sechst. Kurz nach The Manner wurde in Algund in Südtirol Spazio 46 eröffnet, ein modernistischer weißer Bau mit Flachdach. Peer hat ihn als Kontrast zur Hügellandschaft und als Erweiterung des Hotels Pergola von Matteo Thun entworfen. Die Einbauten, Wandverkleidungen und das Mobiliar konzipierte er gewohnt kosmopolitisch, aber mit Holz und Handwerkskönnen aus der Region. Seine Mutter schuf Skulpturen dazu. In Meran wiederum ist die Renovierung und Vergrößerung eines Hotels in Planung, und zur diesjährigen Möbelmesse in Mailand zeigten Baxter und Minotti weitere Möbelneuheiten von ihm.

Auch in der Mailänder Innenstadt konnte man Arbeiten von ihm sehen, wie die spektakuläre Installation „Crash“ für den Marmorverarbeiter Margraf aus der Region Vicenza. Sie simuliert, wie eine Marmorplatte auf einen Widerstand trifft, hält den Moment fest, in dem sich der Stein zusammenfaltet und in unzählige kleine Stücke zerbricht. Eine handwerkliche Meisterleistung. Und ein freies Projekt, das in Peers „Nostalgische Utopie“ einzahlt. „Dass der Marmor bricht, ist die Urangst aller, die mit Marmor arbeiten, und ‚Crash‘ das Geräusch, das niemand hören will.“

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